P. Moraw u.a. (Hrsg.): Die deutschsprachige Mediävistik

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Titel
Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert.


Herausgeber
Morav, Peter; Rudolf Schieffer
Reihe
Vorträge und Forschungen 62
Erschienen
Ostfildern 2005: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
404 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Eberl Immo

Das 50jährige Jubiläum des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte und die kurz zuvor erlebte Jahrhundertwende waren bei der Herbsttagung 2001 die Veranlassung, die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert näher zu betrachten. Die beiden Herausgeber und Jürgen Petersohn wurden mit der Vorbereitung der Tagung beauftragt. Jürgen Petersohn hat sich aus persönlichen Gründen von der Mitherausgeberschaft zurückgezogen und seinen Beitrag zur Tagung auch separat veröffentlicht: «Deutschsprachige Mediävistik in der Emigration. Wirkungen und Folgen des Aderlasses der NS-Zeit», in: Historische Zeitschrift 277 (2003), S. 1–60. Die Vorträge wurden zur Veröffentlichung im vorliegenden Band teilweise erheblich erweitert. Stefan Weinfurter beschreibt im Eröffnungsvortrag des Bandes die «Standorte der Mediävistik» ausgehend von der Rolle des Arbeitskreises und seiner Tagungen. Der Wandel der Mediävistik im Laufe eines halben Jahrhunderts wird dabei mehr als deutlich vor Augen geführt. Rudolf Schieffer stellt die deutschsprachige Mediävistik des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis 1918 unter dem Titel «Weltgeltung und nationale Verführung» vor. Er sieht durch den Ersten Weltkrieg die Neigung der Deutschen verstärkt, auch im Umgang mit der Geschichte anders sein zu wollen als die Anderen in Europa. Otto Gerhard Oexle folgt mit den Schlagworten «Staat» – «Kultur» – «Volk» den deutschen Medävisten auf der Suche nach der historischen Wahrheit. Er stellt eine ausserordentliche Produktivität in der deutschen Mediävistik zwischen 1918 und 1945 mit dem Aufbruch zu neuen Fragestellungen und Konzepten fest. Dabei sieht er die Entwicklung bis 1933 mit einem offenen Zukunftshorizont. Die nationalsozialistische Machtergreifung von 1933 polarisierte die Ereignisse. Nietzsche und Begriffe wie «Volk» und «Gemeinschaft» traten in den Vordergrund. Nach 1945 war das Schweigen und Beschweigen ein grosses Thema, wobei Oexle für einzelne Mediävisten Unterschiede aufzeigt. Nach ihm waren die Gewinner von 1945 die Neu-Rankeaner, die zu einer Lähmung des Faches führten, deren Aufhebung ebenso lange dauerte, wie man sich die Erinnerung an den Nationalsozialismus und seine verheerenden Wirkungen in der deutschen Geschichtswissenschaft nicht einzugestehen vermochte. Peter Moraw macht mit «Kontinuität und später Wandel» Bemerkungen zur deutschen und deutschsprachigen Mediävistik im Zeitraum zwischen 1945 und 1970/1975. Nach 1945 verlagerte sich bei den Habilitationen der bisher auf norddeutschen Universitäten liegende Schwerpunkt nach München und Freiburg i.Br. Auch konfessionell wurde das bislang weithin protestantische Bild durch Berufungen katholischer Professoren verändert. Das Fach veränderte sich dann zwischen 1962 und 1972 nochmals grundlegend. Abschliessend weist er u.a. darauf hin, wie weit z.B. der Schweizer Historiker Werner Näf seinen deutschen Kollegen durch seine Vertrautheit mit Westeuropa und dessen Diskussionskultur voraus war. Peter Johanek führt die Untersuchung als Beobachtungen eines Zeitgenossen von 1975 bis zur Gegenwart unter der Frage «Zu neuen Ufern?» fort.
Dabei werden die gesamten Erscheinungen des Faches aufgezeigt und diskutiert. Werner Paravicini wendet sich dem Verhältnis von französischer und deutscher Mediävistik seit dem Ende des Krieges unter dem Thema «Zwischen Bewunderung und Verachtung» zu. Nachdem die Annales-Schule in Deutschland zuerst abgelehnt wurde, gewann sie im Laufe der Zeit an Bedeutung. Paravicini geht auf die zahlreichen Verbindungen zwischen den beiden Ländern ein, wobei die am Ende des Beitrags stehende, umfangreiche Bibliographie von besonderer Bedeutung ist. Arnold Esch gibt einen ähnlichen Überblick über das Verhältnis zwischen der italienischen und der deutschen Mediävistik. Mathias Werner hat seinen Beitrag «Zwischen politischer Begrenzung und methodischer Offenheit» über die Wege und Stationen deutscher Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert durch ein gründliches Aufarbeiten der deutschen Landesgeschichte stark erweitert. Er hat dabei die Entwicklung der Landesgeschichte in der Verbindung zwischen Universitäten, Archiven und anderen Forschungsinstitutionen aufgezeigt, wobei auch die grosse Bedeutung der landesgeschichtlichen Forschung überhaupt für die Mediävistik zum Ausdruck kommt. Michel Parisse zeigt die französischen Mediävisten und ihre Verbindung zur deutschen Geschichte auf den verschiedenen Gebieten des Faches auf. Patrick Geary stellt seinen Beitrag zum Einfluss der deutschsprachigen Mediävistik in Amerika unter das Thema «Ein wenig Wissenschaft von gestern ». Er verdeutlicht die Verbindungen zwischen amerikanischer und deutscher Mediävistik, die vielfach enger waren als allgemein angenommen wird. Der Band verdeutlicht die Entwicklung der deutschen Medävistik des 20. Jahrhunderts, die dabei eine richtungsweisende Darstellung erhält. Auffallenderweise wird die österreichische Mediävistik ohne weiteres in die Darstellung einbezogen, während für den Titel «deutschsprachig» die schweizerische Mediävistik trotz der Lage von Konstanz und der Reichenau in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schweiz wesentlich weniger und eigentlich zu wenig in die Diskussion einbezogen wird. Neben den französisch – deutschen und italienisch – deutschen Vergleichen wäre ein schweizerisch – deutscher Vergleich überaus interessant gewesen, da die Schweiz weder den Bruch von 1918, noch von 1933 oder 1945 erlebt hat und damit Strukturen der Zeit vor 1918 ganz anders auf die Zukunft des Faches wirken konnten. Das von Peter Moraw gezeigte Beispiel von Werner Näf hätte öfters aufgegriffen werden müssen.

Zitierweise:
Immo Eberl: Rezension zu: Peter Moraw, Rudolf Schieffer (Hg.): Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen, Band 62). Ostfildern, Jan Thorbecke Verlag, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 4, 2006, S. 494-495.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 4, 2006, S. 494-495.

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